Die Coronakrise und ihre Folgen – Acht Fragen an Gesundheitspolitiker Michael Hennrich

24.04.2020 | Interview

Die Kurve an Neuinfektionen flacht nun seit Mitte April ab. Ist ein Ende in Sicht und wann können wir wieder zur Normalität übergehen?

Leider nein, wir müssen immer wieder mit weiteren Infektionen rechnen und müssen alles daran setzen, die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen. Ein Ende kommt erst in Reichweite, sobald wir flächendeckend einen Impfstoff haben.

Schweden hat als einziges Land in Europa das öffentliche Leben kaum eingeschränkt. Sind die Schweden unvorsichtig oder haben sie eine andere Strategie?

Auch in Schweden gibt es Restriktionen. Ein Unterschied liegt darin begründet, dass wir infolge der vielen Winterurlauber sowie der Entwicklungen in Heinsberg und im Elsass eine dramatisch schnellere Ausbreitung hatten. Ich glaube, dass sowohl Schweden als auch Deutschland – bisher zumindest – die Coronakrise ganz erfolgreich gemeistert haben. Schön wäre es, wenn wir das in ein bis zwei Jahren ebenfalls noch behaupten könnten.

Es wurde viel darüber diskutiert, ob zu viele überlebenswichtige Produktionsprozesse nach Asien verlagert wurden und ob Europa so bei globalen Krisen vom Nachschub an medizinischen Materials abgeschnitten ist. Wie stehst du zu der Idee, Produktionen zurückzuholen und eine nationale Reserve vorzuhalten?

Ich finde die Idee ganz ausgezeichnet, zumal ich im September 2019 dazu ein umfangreiches Maßnahmenpaket erarbeitet habe. Wesentliche Punkte hieraus hat Minister Spahn übernommen, beim Thema nationale Reserve – eine Forderung, die ich schon 2013 aufgestellt habe – gehe ich davon aus, dass die Zeit jetzt dafür reif ist.

Ende Mai sind bereits 470.000 Anträge auf Kurzarbeit eingegangen. Das sind 20 Mal mehr als in der Finanzkrise. Sind die Jobs sicher? Wie groß werden die Auswirkungen auf unsere Wirtschaft mittel- und langfristig sein?

Diese Krise ist sowohl in gesundheitlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht die größte Herausforderung seit dem Ende des 2. Weltkrieges. Und leider ist zu befürchten, dass sowohl Unternehmen als auch Jobs schwer in Mitleidenschaft gezogen werden. Je besser es uns gelingt Gesundheitsschutz und wirtschaftliche Öffnung in eine vernünftige Balance zu bringen, desto geringer sind die Folgeschäden. Aber leider muss man auch klar sagen: Mit den Folgen der Krise werden wir uns noch eine ganze Weile auseinandersetzen müssen.

Die Lufthansa benötigt staatliche Hilfen, die Reisebranche insgesamt ist seit mehreren Wochen nahezu eingestellt. Wie soll dieser Industriezweig wieder belebt werden?

Es gibt unterschiedliche Ansätze. Zum einen gibt es vergünstigte Kredite, für die Mitarbeiter Kurzarbeitergeld und auch die Möglichkeit einer staatlichen Beteiligung ist nicht ausgeschlossen. Darüber hinaus wird über Gutscheinlösungen nachgedacht, so dass Kunden statt Geld einen staatlich abgesicherten Gutschein erhalten, wobei mir das Instrument nicht gefällt.

Viele Betriebe mussten Homeoffice-Möglichkeiten schaffen und Läden und Restaurants liefern lokal über das Netz bestellte Ware aus. Hat die Krise auch etwas Gutes, da Unternehmen dazu gezwungen sind zu modernisieren?

In der Tat erleben wir viele kreative Ideen des Einzelhandels und der Gastronomie; entscheidend wird sein, wie sich das in zukunftsfähige Geschäftsmodelle verwandeln lässt. Einen Schub wird es aber auf jeden Fall geben: Digitalisierung, Videokonferenzen und Homeoffice werden voranschreiten.

Die Schulen sollen nun schrittweise wieder öffnen. Lehrer/innen warnen, dass der verpasste Stoff kaum aufzuholen ist. Wie soll es gelingen, dass kein Kind zurückbleibt?

Es sind alle gefordert: Familien, Lehrer und auch die Kinder. Wir brauche digitale Angebote, kleinere Lerngruppen und eine gewissen Großzügigikeit bei den Bewertungen der Leistungen.

Sportstätten für kontaktlosen Sport, wie Tennis oder Bogenschießen, müssen vorerst weiter geschlossen bleiben. Können wir zeitnah mit Lockerungen rechnen?

Ich hoffe sehr, dass ab Anfang Mai wieder Individualsportarten möglich sind. Das habe ich nie ganz verstanden, warum man da so restriktiv war.


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